Unten, im Dunkeln (Herbst 1998)

Da sitzen sie und warten.

Lange hat niemand mehr ihre Gunst gewollt, lange hat sie niemand mehr gerufen. Immerzu waren sie bereit, in Erscheinung zu treten. Wenn sie doch bloß gerufen worden wären. Aber das alte Wissen scheint vergessen zu sein.

Die Nebelschwaden vor den grau gewordenen Seiten des Raumes geraten in Bewegung. Ein Gong wie aus unergründlicher Tiefe ertönt. Sein Schlag klingt nach versunkenen Zeiten. Die Schatten erwachen aus ihrer Dämmerung. Die Spalte öffnet sich.

Worum es wohl gehen wird? Es ist so lange her.

Alte Gelenke knarren, Staub rieselt von lange nicht bewegten Gedanken.

,,Sieh mal ... da liegen ja Leichen!''

,,Iih! Wie gruselig! Renn schnell weg!''

Nur kurz waren die Köpfe zweier Kinder zu erahnen gewesen, ihre Stimmen zu hören. Jetzt sind nur noch hastige kleine Schritte da draußen. Schnelle Schritte.

Doch die Spalte zum Schattenreich bleibt offen. Sie haben ihre Chance noch nicht realisiert. Noch liegt über allem der Ärger der verpassten Gelegenheit.

Wieviele hundert Jahre wird es denn noch dauern, bis wir wieder einmal gerufen werden? Niemand ... !

Nach einer langen Zeit des Ruhens und des Wartens fällt es ihnen auf. Der Luftzug verrät die Öffnung. Der Wunsch ist nicht Neugier, sondern Rache. Rache, wie nur sie sie empfinden können. Nach Jahrhunderten des Wartens.

Auch draußen ist es dunkel. Aber wir müssen nichts sehen. Nicht für das, was wir nun tun werden.

Eine kalte, frostige Nacht. Trotzdem ist der Himmel nicht klar, sondern dicht bewölkt. Das Licht des Mondes ist nur zu erahnen.

Dort ist es. Nicht weit von unserem Reich. Wir schmecken es, schmecken ... Leben!

Ihr Hunger, ihr Durst ist gestillt. Längst sitzen sie wieder, dämmern vor sich hin. Unmerklich langsam schließt sich der Spalt.

Draußen wird es Tag. Fahrzeuge kommen in das kleine Dorf. Die ungewohnte Stille fällt vielen auf. Eine Ahnung, eine drückende, zögernde, zweifelnde Ungewißheit. Etwas scheint anders zu sein.

Dann die unheimliche Gewißheit. Spuren gibt es keine. Das Dorf steht leer.


© 1998 Till Westermayer. Stand: 9.1.1999. Automatisch konvertiert durch html.exe. Kommentare, Beschwerden und Nachfragen bitte an Till We richten - Danke!