Reisebericht - Kairo, Jan. 2009

Reise nach Kairo (2009-01-02/12)

Bei Kongressen lernte ich den Professor für Anorganische Chemie, Professor Mahmoud Afifi kennen, der in Deutschland studiert hatte und ausgezeichnet Deutsch spricht. Durch unsere Unterhaltungen bekam ich mit, dass in seiner Universität, der als Islam-Universität gegründeten und weltberühmten Al-Azhar in Kairo, die mittlerweile, und durch die autobiographische Erzählung von Taha Hussein wird dieser schmerzhafte Prozess lebendig geschildert, zu einer umfassenden und riesigen Uni mit insgesamt 300.000 Studenten an mehreren Orten geworden ist, internationale Fachliteratur nicht umfangreich genug zur Verfügung steht. Als beim Pfizer-Standort der früheren Gödecke AG in Freiburg nach der Forschung auch noch die Entwicklungsabteilung geschlossen wurde, war die umfangreiche wissenschaftliche Bibliothek nicht mehr nötig. Zunächst bekamen die Freiburger Universität und Mitarbeiter was sie brauchen konnten. Danach blieb jedoch noch eine große Menge an wissenschaftlichen Zeitschriften und Sammelwerken zurück. Da erinnerte ich mich an Bekannte, die in weniger gut ausgestatteten Ländern wohnen, fragte sie und sandte den Interessierten die Liste der verfügbaren Zeitschriften. Auf diese Weise bekamen im Jahr 2004 Tirana einen Karton mit Lehrbüchern, Samarkand und Bukarest je eine Palette, und eben die Al-Azhar Universität einen 30-Fuß Container (prall gefüllt wg. Frachtkosten) mit einer Regallänge von ca. 280m an Zeitschriften. Die beträchtlichen Frachtkosten bezahlte freundlicherweise Pfizer.
Die Al-Azhar brauchte einige Zeit um den erforderlichen Regalplatz zu schaffen; hatte aber schließlich den Berg an Paletten und Boxen wenigstens gut in der Bibliothek des Chemischen Institutes für Männer - hier gibt es immer noch die Geschlechtertrennung - untergebracht. Meine Forderung, dass diese Literatur auch den Wissenschaftlerinnen zugänglich sein müsse, wurde vom Rektor der Al-Azhar, El Tayyeb, schriftlich zugesichert. Ende 2007 wurde dann mitgeteilt, dass die Regalflächen demnächst zur Verfügung stehen und meine Mitarbeit an der Einsortierung gerne gesehen würde; insbesondere weil die Kartons transport- und lagerbedingt nicht mehr so geordnet waren.
Da zu dieser Zeit die Muslimbrüder in Ägypten Unruhen verursachten war ich etwas ängstlich, und erst der Besuch von Professor Afifi Ende 2008 in Deutschland mit seine Idee gemeinsam nach Ägypten zu fahren und sein Gast zu sein motivierte mich, dieses Abenteuer anzunehmen. Da sein Flug schon gebucht war hatte ich mich dem angeschlossen was ich organisatorisch Herrn Boepple zu verdanken habe. Das bedeutete eben, dass der Flug hin und zurück von München ging - und die Flugzeit jeweils abends war.
Die Reise begann am Fr. 2. Januar - Ankunft nachts um 1 Uhr; dabei war die fast durchgehende Besiedelung von Alexan­dria bis nach Kairo sehr schön zu sehen, was die Astronomen u.a. bekanntlich weniger erfreut. Ein bekannter Chauffeur wartete bereits auf uns. Der Flughafen Kairo-Heliopolis liegt nordöstlich vom Zentrum, und der Stadtteil "6. Oktober" in dem Mahmoud wohnt nordwestlich davon - bereits in der Sahara - und die Fahrt dauerte nachts ca. 1 Stunde (mindestens 60 km). Da sein Haus keine Heizung hat war es nachts doch reichlich kühl und die Wohnung konnte wegen der geschlossenen Fensterläden auch von der Sonne nicht erwärmt werden. Dieser Stadtteil ist für ca. 6 Millionen großzügig angelegt und in 8 Teile unterteilt, wobei allerdings Radwege immer noch fehlen und Menschen im Rollstuhl nicht bedacht wurden. Die meisten Häuser sind ohne Lift. In den Stadtvierteln gibt es kleine Ladenzentren, Schulen sowie kleine aber auch große Moscheen. Dort kauften wir Lebensmittel (Fladenbrot, Dattelkekse, Obst und Gemüse, Tamea), ein Schreibwarenladen versorgte die Schüler und kopierte auch. Internetcafé und Wäscherei waren auch vorhanden. Die Wohnung von Mahmoud ist großzügig und hat zwei Balkone.
Wir kamen gegen Mitternacht an; der Samstag ist ein halber Ruhetag in Ägypten. Am Sonntag besuchten wir das Chemische Institut der Al-Azhar Universität und dort den Dekan und meldeten mich an. Der neue riesige Campus liegt im Osten des Zentrums – gegenüber dem Grabmal des Unbekannten Soldaten, wo auch Anwar Sadat beerdigt sein soll . Der Weg führt an der Zitadelle vorbei und über die Totenstadt - die allerdings auch bewohnt ist, aber keinerlei Bäume aufweist. Das Tor zum Campus wird bewacht und auch im Institut wacht eine Polizeistation am Eingang. Nachmittags besuchten wir die Notfallklinik von Prof. Afifi die auch im "6. Oktober" liegt, und gerade den Rohbauzustand hinter sich lässt - ein eigenes Kapitel. Ebenso wurde ich bei der (Geheim-)Polizei angemeldet und wir besuchten die Moschee dort.
Am Montag hatten wir die Aktion mit den Büchern geplant und um den Stau in der Innenstadt zu umgehen fuhr der Chauffeur eine inoffizielle Umleitung - eine Sahara-Piste. Dabei hatte ich die Chance, die 3 großen Pyramiden nicht allzu weit (1 km ?) von der Straße aus im Dunst zu sehen. Die Bücherkartons waren im riesigen Bibliothekssaal im Keller (bzw. Erdgeschoß) untergebracht; die Regale waren der Wand entlang angebracht und konnten die Höhe leider nur halb ausnutzen - die riesige Sammlung von Diplom- und Habilitationsarbeiten war zunächst gestapelt worden. Der Lager­dauer entsprechend waren die Kartons und z.T. auch die Bücher von einer Staubschicht etc. bedeckt; die Ordnung auf den Paletten war keine mehr, die Kartons waren z.T. wegen des über­schweren Inhalts gerissen, aber wenigstens die Aufschrift (Palette und Box) war noch zu lesen. Ca. die Hälfte der chemischen Literatur bestand aus den Chemical Abstracts, die von vielen fleißigen Händen einsortiert wurden, was jetzt den größten Teil des vorhandenen Regals ausmacht. Zum Mittagessen gab es Tee und diverse Stückchen. Gegen 16 Uhr war der erste Arbeitstag beendet und am Mittwoch wurde der Rest auf drei Stapel entsprechend den Instituten Chemie, Pharmazie und Medizin aufgeteilt. So hatte ich am Dienstag viel Zeit zum Lesen, mit Mahmoud zu diskutieren und zum Fernsehen (Al Jazeera, Deutsche Welle und CNN - Gaza-Krieg*). Ausserdem kam eine Lokalzeitung, die Mahmoud und später auch mich interviewte (und später bekam ich deren Artikel mit meinem Foto - in arabisch; ein interessierter Schüler kam zweimal vorbei und wollte sein Deutsch und Englisch verbessern.
Am Donnerstag fuhren wir zur Wohnung von Mahmouds Kinder in Agouza, wo wir bis zum Samstag blieben. Es gab ein vielfältiges ägyptisches Mittagessen von seiner Frau und den Töchtern zubereitet und dazwischen Diskussionen über "Gott und die Welt". Mahmouds Enkelkinder Selma und Hussein waren durchaus zutraulich, obwohl sie ihr Kinderzimmer an mich abtreten mussten. Freitag konnte ich den Muezzin – sehr laut weil auf gleicher Höhe wie die Wohnung - und die Predigt vom Zimmer aus hören; die Koranlesung vor dem Gebet war ein Genuss (eine Kunstform des Arabischen).
Dann begleitete mich Heba zu einem Besuch der Altstadt: die alte Moschee Ibn Tulun, daneben das Gayer-Andersonhaus (d.h. 2 historische Häuser, die das sinnvoll eingerichtete Wohnen einer gehobenen Familie im Mittelalter zeigen), und der Al Azhar Moschee-Universität (dort viel Polizei, wegen evtl. Demonstrationen), vis-a-vis die riesige Hussein-Moschee, sowie den Basar; durch die Gassen bis zur Stadtmauer. Gruselig war es mir, wie uns in den Gassen der Altstadt eine Gruppe mit einer Leiche im offenen Sarg begegnete. Das Islamische Museum war noch nicht fertig renoviert. Nachmittags dann an den Nil auf der Insel (mit Eintrittsgebühr) – Heba parkte beim DAAD. Abends weitere Disk­us­s­ionen z.B. über die umstrittenen Thesen von Nasr Abu Zaid in der Darstellung von Hilal Sezgin. Und über die Baha'i: Deren Glaube wurzelt im schiitischen Islam, hat sich aber von ihm gelöst. Die Bahai erkennen Mohammed zwar als Propheten an, betrachten ihn jedoch nicht - wie andere Muslime - als allerletzten Propheten, sondern Baha'ullah (gest. 1892) als einen weiteren. Für die Bahai ist der Mahdi (dem jüdischen Messias vergleichbar) in Gestalt ihres Religionsgründers zurück­gekehrt; für die Schiiten gilt dies als Sakrileg - weshalb die auch sozial fortschrittlicheren Bahai besonders im Iran seit Khomeini verfolgt wurden. Eine Fatwa von Hossein Ali Montazeri verlangt den Bahai endlich alle Bürgerrechte zu gewähren. (Bahai: nach K. Amirpur, taz, 2009-02-10, S.12)
Samstags vormittag war ich zu den Grünen eingeladen, deren Telefonnummer Mahmoud dank Informationsbüro herausbekommen hatte. Der Vizepräsident der ägyptischen Grünen Partei, Prof. BAHAA Bakry, nahm sich Zeit für ein Gespräch; da sein Fach Landschaftsarchitektur und Urbanistik ist, hatten wir gleich guten Kontakt zueinander. Er würde sich gerne mal die ökologischen Stadtplanungen und Bau-methoden in Deutschland anschauen.
Auch in punkto Recycling waren wir einer Meinung; nur ist das in Ägypten noch nicht durchgehend organisiert, weshalb gelegentlich viel Plastiktüten etc. in der Landschaft liegen (fliegen), und ein Stadtteil durch den wir mehrmals gefahren waren, vom Qualm brennender Müllbehälter (oder ?) charakterisiert war. Bei der Fahrt zum Flughafen am Montag kamen wir dann durch ein Industrieviertel in dem das Recycling stattfindet. Samstags spätnachmittags war ich dann zu einem Abschluss-Essen des Instituts eingeladen und bekam dort eine vornehme Gedenkschatulle und einen offiziellen Dankesbrief. Danach in einem guten Restaurant ein Essen mit einer Fülle von Fischspezialitäten; das improvisierte Fischessen am Mittwoch nach der Arbeit war allerdings fast noch wohlschmeckender gewesen. Leider waren die Hauptakteure der Bucheinsortierungs­arbeit nicht mit dazu eingeladen; Professor Tarek Mohamed hatte uns freundlicherweise mehrmals nach Hause gefahren, da er auch im "6. Oktober" wohnt. Was für ein Stress mit dem Auto durch den feierabendlichen Stau. Bewundert habe ich auch die Polizisten, die auf einem schmalen und erhöhten Mittelsteg arbeiten. Die Fußgänger überqueren die Strassen mitten durch den Verkehr, der so schnell wie möglich fährt.
Am Sonntag kam dann noch das Fernsehen zu Mahmouds Klinik-Baustelle und filmte mich als ausländischen Unterstützer gleich mit.
Den Montagvormittag nutzten wir zu einem Spaziergang und ich zum Packen. Wir fuhren um 12 Uhr zum Flughafen, da nicht klar war wie schnell wir durch die Stadt kommen. Nach 1,5 h waren wir doch schon dort und ich hatte dann noch genügend Zeit bis zum Einchecken gegen 15:40 Uhr. Der Flughafen hat ein großes Angebot, doch ich hatte keinen Bedarf; ausser 2 Postkarten ( Ibn Tulun und Stadtansicht von oben) fand ich nichts was für das Leben in Kairo typisch ist. Im Flugzeug sass ich neben einer ägypt. Studentin der Geowissenschaften, die in Tübingen weiterstudiert - war eine gute Unterhaltung. Wegen der späten Ankunftszeit in München wurde es eine lange Nacht - 2 Std. in Stuttgart; um 7 Uhr zuhause. *) Gaza-Krieg, den die Israelis in der Zeit zwischen Bush und Obamas Präsidentschaft und kurz vor ihren eigenen Parlamentswahlen terminiert hatten. Zwar waren die dauernden Kasam-Raketen (etc.)der Hamas auf Süd-Israel sicherlich ein Ärgernis, aber die massive Bombardierung auch von Wohnhäusern und u.a. mit Phosphor-Brandbomben eine grausame Überreaktion. (...) Hoffentlich gibt es bald einen dauerhaften Frieden in dieser Region.


Dr. Manfred Westermayer, Kandelstr. 62, D-79194 Gundelfingen/Breisgau
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